Medizinische Neuheit in Hannover

Ärzte pflanzen erstem deutschen Kind mitwachsende Herzklappe ein

Gewebe in Bioreaktor gezüchtet

Von ddp-Korrespondentin Karina Scholz

Hannover (ddp) Die Mutter des vierjährigen David musste einige Male schlucken, als Herzspezialist Joachim Gerd Rein am Mittwoch erklärte, was auf ihren Sohn zugekommen wäre. Hätte David nicht vor fünf Wochen in Hannover eine neuartige, mitwachsende Herzklappe eingesetzt bekommen, «dann wären alle drei oder vier Jahre weitere Operationen fällig geworden», sagte der Stuttgarter Arzt in Hannover.

Er habe seinerzeit von Entwicklungen in Hannover gehört, bei denen Forscher menschliche Herzklappen so bearbeiteten, dass sie im Körper eines neuen Patienten nicht abgestoßen würden und sogar wie eigenes Gewebe mitwüchsen, sagte Rein. Daraufhin habe er den Eltern, die bei ihm mit ihrem herzkranken Kind in Behandlung waren, zu dem Eingriff geraten.

Im August wurde der Junge, der mit seinen Eltern in der Nähe von Stuttgart wohnt, als erstem Kind in Deutschland eine solche Herzklappe implantiert. Für die medizinische Neuheit ist das Ärzteteam um Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) inzwischen auch für den Zukunftspreis des Bundespräsidenten nominiert worden.

David sei schon fünf Tage nach der Operation wieder auf sein Laufrad gestiegen und zwei Wochen später bereits in den Kindergarten gegangen, erzählte Davids Mutter. Als ob er deren Worte bestätigen wollte, strahlte David über das ganze Gesicht. Die Tragweite der medizinischen Neuerung wird er gewiss noch nicht ermessen können. Dass er voraussichtlich nie mehr in seinem Leben am Herzen operiert werden muss, weil es ganz normal mitwächst, verdankt er jahrelangen Forschungen der MHH-Herzchirurgen.

Bereits 1996 hatten die Forscher damit begonnen, mittels des sogenannten Tissue Engineering menschliche oder tierische Spenderklappen von allen Zellen zu befreien, so dass nur ihr äußeres Gerüst als Collagenstruktur erhalten blieb. Das Gerüst wurde mit neuen Zellen besiedelt, die zuvor aus dem Blut des Empfängers gewonnen und vermehrt wurden. Zwei Wochen dauert solch eine Zellenbesiedelung mittlerweile im Bioreaktor.

Zuerst war die neue Methode bei Schafen ausprobiert worden, bevor die Ärzte im Jahr 2002 erstmals einem Menschen eine im Bioreaktor neu «gezüchtete» Herzklappe einsetzten. Patient war der damals elfjährige Alexandru Manea aus Moldawien, der sich in Hannover als kräftig entwickelter Jugendlicher von 17 Jahren präsentierte. «Ich mache viel Sport und spiele gerne Fußball», sagte Alexandru, der früher unter Herzrasen und Kurzatmigkeit litt.

Solche Probleme bleiben dem quirligen David wahrscheinlich erspart. Im Alter von wenigen Wochen waren bei ihm Herzfehler entdeckt worden, die durch eine Operation ausgeglichen werden mussten. Da aber nun eine Blutader zu platzen drohte, wurde eine erneute Operation nötig. Die Eltern von David entschlossen sich, dem neuen Verfahren der Hannoveraner Ärzte zu vertrauen. «Wir würden uns wieder so entscheiden», sagte Heike Plöger. «Wir wollten unserem Sohn diese Chance geben.»

Aus medizinischer Sicht eröffnet das an der MHH entwickelte Verfahren vielfältige Einsatzmöglichkeiten. «Es ist ein Schritt in Richtung individuelle Therapie», sagt der Direktor der MHH-Herzklinik, Haverich. «Wir arbeiten daran, dieses Verfahren auch für andere Klappen, zum Beispiel Venenklappen, anwenden zu können.» Damit könnten offene Beine von Thrombosekranken behandelt werden. Aber auch für durchblutete Organe und Gewebe wie etwa Leber, Bauchspeicheldrüse und Muskeln will Haverich seine neue Methode anwenden. Bereits im November soll einem Patienten erstmals ein derartig «gezüchteter» Herzmuskel eingesetzt werden.

Quelle: ddp,